zum NEWSarchiv / 14.12.2011: 6. Schulcampusgespräch
Mi. 14.12.2011 gegen 18 Uhr im Bürgerhaus in Hatzenbühl.
Heiner Geißler spricht.
Zum 6. Mal hatte die IGS/RSplus Rheinzabern zu einem Schulcampusgespräch eingeladen, um prominente Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die mitten in der Gesellschaft stehen. Unterm Weihnachtsbaum des Bürgerhauses Hatzenbühl sollte so mancher Impuls aufrütteln und den Anwesenden klar machen: Tut was, Ihr seid das Salz der Erde!
„Vor Ort“ waren schon die bekannten Pädagogik-Koryphäen, Professor Otto Herz und Jürgen Baumert, die beiden „Extremsportler“ und Motivationskünstler, Wojtek Czyz und Joey Kelly, sowie der „globale“ Umweltexperte von „Earthwatch“, Holger Vogt. Diesmal war ein politisches Urgestein eingeladen worden, einer der renommiertesten deutschen Politiker: Dr. Heiner Geißler, früherer Landes- und Bundesminister, CDU-Generalsekretär, Schlichter bei Tarifstreitigkeiten und zuletzt bei Stuttgart 21, bekannt für scharfen Verstand und deutliche Worte.
Heiner Geißler – passionierter Bergsteiger und Gleitschirmflieger - kann gut zuhören, und so schien die „Aufwärmphase“ in der neuen Mensa eher einem Beschnuppern der Akteure als einer Vorbereitung auf den Höhepunkt des Abends. Im Small Talk mit Schulleitung, Lehrern, Bürgermeistern und Elternvertretern gewann er ein Gespür für den Geist der IGS/RSplus. NaWi, BNE, COMENIUS waren Stichworte, mehr noch schien aber der selbst gebackene Kuchen und die Wirkung von Zucker für den Hochleistungssportler Geissler wichtig zu sein. Schien aber nur.
„Was bietet ihr an?“, wollte Geißler wissen. Sport hält er für sehr wichtig - auch und gerade wegen der geistigen Beweglichkeit. Mit Schulleiter Pete Allmanns „Roter Couch“ von war er nicht sofort einverstanden und „frozzelte“ von der „Muppets Show“, akzeptierte aber das „Schule einmal anders“. Die „Rote Couch“ ist mittlerweile ein Markenzeichen der IGS/RS+, weil dort regelmäßig auch Experten sitzen, die etwas zu sagen haben, die anregen, über den Teller hinaus zu schauen; die zeigen, dass Schule mit Gesellschaft eng korrespondiert.
Noch ein obligatorisches Foto mit dem neuen Wegweiser zum „Schulcampus“, dann ging es zum öffentlichen Vortrag ins Bürgerhaus Hatzenbühl, wo – trotz des Vorweihnachtstrubels – eine stattliche Zahl von Besuchern den bekannten Gast bereits erwarteten. Und hier lief Heiner Geißler zur Hochform auf – am Rednerpult versteht sich.
„Ou Topos“, heißt sein neuestes Buch, „Suche nach dem Ort, den es geben müsste“. Im Klappentext liest man: Wo finden wir das Glück? Bisher hat es niemand geschafft, das Himmelreich auf Erden zu erreichen. Glücklich zu sein – das scheint dem einzelnen manchmal möglich, allen zusammen aber unmöglich. Viele haben das Paradies daher ins Jenseits verschoben und die Menschen mit ihren Nöten allein gelassen. „Legen Sie dieses Buch neben ihr Bett, lesen Sie jeden Abend ein Kapitel – Sie werden merken, es wird sehr schnell mehr als nur ein Kapitel. Man möchte gar nicht mehr aufhören, schreibt die Kulturredakteurin Elke Heidenreich dazu.
„Ou Topos“ – Utopie meint den Ort, den es nicht gibt oder – so Geißler: „Den Ort, den es geben müsste!“ Der Titel stammt von Thomas Morus (1478-1535), dem englischen Staatsmann, der in seinem Werk Utopia den gerechten Staat beschrieb – mit Frieden, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Religionsfreiheit – ein Gegenmodell zum Staat Heinrichs VIII. von England. Thomas Morus wurde 1935 heilig gesprochen – auch als Zeichen des Widerstandes gegen die totalitäre Herrschaft. Johannes Paul schließlich ernannte Thomas Morus zum Patron der Regierenden! Welch ein Auftrag.
„Es stimmt etwas nicht!“, meint Heiner Geißler, hier und in der Welt. Utopia müsste es im Interesse der Menschen geben, meint er, und erwähnt dabei Kriege, Fundamentalismus, Terrorismus, Ideologien, Hunger u.a.m. Er nennt auch Geldgier und mangelnden wirtschaftlichen Ethos. Dagegen kann nur die soziale Marktwirtschaft stehen – mit verantwortungsvollen Tarifpartnern – „Wohlstand für alle!“ (Ludwig Erhard) anstatt zu vieler prekärer Lebensschicksale.
Dagegen setzt er auch Bildung und Schule! Im Sinne der Aufklärung eines Immanuel Kant könne man gar nicht genug Bildung haben. Angesichts immer komplizierterer globalisierter Probleme sei auch eine Reform der Demokratie notwendig. Statt ungezügelter Megalomanie bedürfe es globaler Ordnungsrahmen im Sinne einer öko-sozialen Marktwirtschaft mit internationaler Börsenkontrolle.
Schließlich nennt er die politische Dimension des Evangeliums. Nächstenliebe sei eine „knallharte Pflicht“, keine Gefühlsduselei also, und Geißler verdeutlicht dies mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der, ohne nach Religion, Rang oder Herkunft zu fragen, Hilfe leistete. Das Helfen ist für Geissler die wichtigste Aufgabe der Politik.
Utopia heißt also auch, sich nicht mit den gegebenen Zuständen abzufinden, wie dies so mancher „Realpolitiker“ tut. Beiläufig erwähnt der Referent, dass viele große Utopisten umgebracht worden seien: Sokrates, Jesus, Johannes, Gandhi, Thomas Morus, Martin L. King...
Utopia – die Schule hat dafür eine wichtige Rolle zu leisten: Zeigen, dass man etwas verändern kann. Kreative Intelligenz ist notwendig. Bildung gegen Jugendarbeitslosigkeit setzen. Bildung heißt bessere Produkte, um international bestehen zu können. Dafür muss Schule ethische und soziale Verantwortung vermitteln, die Spielregeln der Demokratie lehren und einüben. Nicht das Abi allein sei ausschlaggebend fürs Leben, sondern was einer kann, ob er auch praktische und soziale Intelligenz hat, ob er kreative Intelligenz besitzt und aus der Flut des sich im Fünfjahresrhythmus verdoppelnden Wissens das Richtige auswählen kann.
„Die Pisa-Studie können Sie in der Pfeife rauchen!“, war ein provokanter Satz von Heiner Geißler. Und dabei wird ob dieses Begriffs seit Jahren die ganze Schullandschaft durcheinander gewirbelt. Man fragt zu viel nach kognitivem Wissen und zu wenig nach kreativer Intelligenz, meint Geissler.
Die Zeit vergeht wie im Fluge, lange anhaltender Beifall ist der Dank für einen beeindruckenden Vortrag. Dann nimmt der Gast doch noch Platz auf der „Roten Couch“ - um sich ins Gästebuch der IGS/RSplus einzutragen.
Text und Bilder: Gerhart Beil
Weiterführender Link: http://www.heiner-geissler.de